Tis the Jana season

Einmal männlich und hetero bitte!

Es ist Oktober. Tausende von Menschen haben sich heute auf diesem Platz versammelt. Ein kalter Wind weht. Parolen werden ausgerufen. „Jébac PiS“- Rufe, zu Deutsch: “Verdammte PiS” (die polnische rechtskonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“), hallen durch die anliegenden Straßen. Die DemonstrantInnen sind heute, in diesem Moment, trotz Masken und einer Pandemie, vereint. Ihr
Blick schweift durch die Menge und bleibt an einem Mann hängen. Er steht alleine vor einem Bus. Er steht ganz alleine vor dem Bus und bewegt sich nicht von der Stelle. Er steht
einfach nur da und hindert den Bus an der Weiterfahrt.

Was genau er erlebt hat, weiß Agata nicht. Sie weiß nur, dass seine Erlebnisse ihn heute an diesem Oktobertag hierhergebracht haben, um an der Seite von tausenden weiteren Frauen, Männern und
Kindern gegen das kommende Abtreibungsverbot der polnischen Regierung zu demonstrieren.
Agata kommt aus Polen, ist 26 und nicht nur eine Frau, sondern liebt auch eine. Merkmale, die in
Augen der konservativen polnischen Mehrheit einem Verbrechen gleichen..

EIN KALTER DEZEMBER

Es ist mittlerweile Dezember. Agata sitzt gemütlich in Belgien. Auf Yasmines Bett. Schon
seit über einem Jahr ist sie mit der aus Belgien stammenden Yasmine (24) in einer Beziehung.
Die Ereignisse der letzten Monate, die sich in Polen abgespielt haben, scheinen weit weg zu
sein. Niedergeschlagen berichtet Agata, wie die Regierung das Abtreibungsverbot trotz allem
durchgesetzt hat. „Die Proteste haben das Verbot nur um ein paar Monate verschoben, aber
sind wir uns ehrlich, wir hatten schon zuvor kaum bis gar keine Menschenrechte, geschweige
denn Frauenrechte.“ Wer an dieser – für viele hoffnungslosen – Lage schuld ist? „Das
Problem? Unsere regierende Partei, deren Ansichten und die enge Verbundenheit von Staat,
Kirche und Religion.“

Schon seit 2005 führt die rechtskonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit (PiS)“ mit einer
Mehrheit im polnischen Sejm, einer der zwei Kammern der Nationalversammlung.
„Um ihre Ideologien und Glaubenssätze durchzusetzen, kämpfen sie mit jeglichen
Mitteln. Nicht mal vor Falschmeldungen schrecken sie zurück“, berichtet Agata nach
kurzem Schweigen. Sie erzählt davon, wie Protest-Symbole und Feminismus den eigenen
Ruf in der patriarchalen Gesellschaft zerstören können, von Verschwörungstheorien und von
Trucks, die mit Plakaten eines vermeintlich fünf Monate alten Fötus behängt sind, in Warschau
ihre Routen drehen. In Wahrheit handelt es sich um einen zehn-wöchigen Fötus.

SCHON GAR NICHT QUEER BITTE

Nicht nur für Propaganda zugunsten des Abtreibungsverbots werden Trucks eingesetzt, auch um
gegen die LGBTQ+ Gemeinschaft zu wettern. „Unsere Regierung ist der Meinung, dass jegliche
Arten der Sexualität, die nicht als hetero definiert werden können, unter den Begriff Pädophilie
fällt. Sie sind der Ansicht, dass Mitglieder der LGBTQ+ Community in Schulen Pillen verteilen,
um die Sexualität der Kinder zu beeinflussen und diese somit in eine Identitätskrise stürzen. All
das präsentieren sie schön auf den Plakaten dieser Trucks, mit dem Ziel, noch mehr Leute von
ihrer Ideologie zu überzeugen.“


Dass man in der LGBTQ+ Community eine Bedrohung für Gesellschaft und Staat sieht, macht die
Regierungspartei PiS, vor allem Parteichef Jaroslaw Kaczynski, kein Geheimnis. Kacynski warnt
auf offiziellem Weg die polnische Bevölkerung vor dem Einfluss der Minderheiten – sie gefährden
die traditionellen Werte Polens. Auch mit dem wiedergewählten Präsidenten Andrzej Duda ist in
den kommenden fünf Jahren keine Wende zu einem liberalen, toleranten Polen in Sicht. Er ist
zwar offiziell parteilos, dennoch sympathisiert der ehemalige Abgeordnete der Partei „Recht und
Gerechtigkeit“ bis heute mit ihr.

L G B T Q + F R E I E Z O N E N

Mit den in 2019 starteten Kampagnen für die sogenannten „LGBTQ+ freien Zonen“ unterstreicht
die polnische Regierung und die PiS ihre Abneigung gegenüber queeren Menschen und
verursachte damit europaweit Schlagzeilen. Als Agata „LGBTQ+ freie Zonen“ hört, lacht sie
höhnisch. „Ja, die gibt es tatsächlich und aufpassen musst du da. Wenn dort nur einer erkennt,
dass du ansatzweise für und nicht gegen die ‚Queer-Community‘ bist, kann es wirklich gefährlich
werden.“ Yasmine fügt hinzu: „Da stehen wirklich Schilder neben den Ortstafeln, die sagen:
„LGBTQ Free Zone“. Einfach so. Wie als würden sie dich darauf hinweisen „Ab sofort nur noch
50 km/h fahren“. Krank ist das. Komplett Krank.“


Durch die Kampagnen und der Medialisierung der „Freien Zonen“ werden nicht nur die
Glaubenssätze der polnischen Regierung verbreitet, viel mehr resultiert durch die Polarisierung
eine zunehmende Tendenz der Gewaltbereitschaft. Einfache Pins der Community, die man in
Österreich in jeglichen Mainstream Shops findet, oder gar Regenbogenklamotten in der
Öffentlichkeit zu tragen, ist für Agata und Yasmine Seltenheit. „Wenn ich so etwas in der
Öffentlichkeit trage, frage ich mich jedes Mal: Wird heute der Tag sein, an dem ich angegriffen
werde?“, erzählt Agata. Yasmine nickt. „Mir war es nicht bewusst, dass eine simple Sache wie
Klamotten oder Accessoires, die auf eine andere sexuelle Orientierung ,hindeuten‘, so viel
auslösen können.“

„ I N P O L E N H I N G E G E N G E H S T D U D A V O N I M M E R A U S “

Der Unterscheid zu einem so toleranten Land wie Belgien sei prekär. „In Belgien gehst du als gleichgeschlechtliches Paar Händchen haltend durch die Straßen und bist nicht der
Meinung, dass dich Leute so sehr hassen könnten, um handgreiflich zu werden. In Polen hingegen gehst du davon immer aus.“ Yasmine sieht zu Agata, die nur bedrückt aber
wütend nach unten sieht. „Diese Abscheu gegenüber der LGBTQ+ Community geht
so weit, dass sogar auf den Protesten gegen das Abtreibungsverbot Leute begannen homophobe Parolen zu
schreien.“ erzählt Agata. „Wir sollen wieder nach Hause gehen. Sie wollen nicht, dass wir mit ihnen
protestieren. Die verstehen einfach nicht, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt.“ Yasmine stimmt zu: „Da fragst du dich wirklich: Welchen Kampf wollen die gewinnen?“

„ S H O U L D I S T A Y O R S H O U L D I G O “

Wie so viele queere Polen und Polinnen, steht auch Agata vor der Frage, inwiefern sich die Lage in
Polen in den nächsten Jahren verbessern wird. Gibt es Hoffnung, in der jetzt so dunklen Zeit? „Wie so
viele Leute der LGBTQ+ Community überlege ich von Polen wegzugehen. Und das alle fünf Minuten“,
meint Agata nach einer kurzen Denkpause. Die meisten Polen und Polinnen finden ihr Glück in
Ländern wie Deutschland oder Dänemark, erzählt sie. Doch das käme für sie aus einem Grund nicht in
Frage. Sie blickt Yasmine an und gibt ihr einen Kuss. „Natürlich wäre meine erste und bis jetzt einzige
Wahl Belgien. Aber meine Familie und mein Job hält mich noch in Polen.“, erzählt sie. „Vielleicht in
ein paar Jahren.“, fügt Agata hinzu.


Aber gibt es jetzt Hoffnung? Da sind sich sowohl Agata, sowie Yasmine einig. Solang sich nichts in der
polnischen Regierung ändert, wird sich auch das Leben als queere Person kaum
ändern. Agatas Augen glänzen. „Doch vielleicht habe ich noch ein wenig Hoffnung. Für Polen. Für uns
in Polen. Ich glaube, ja, ich glaube, meine letzte Hoffnung ist die nächste Generation. Und Leute, wie
der Mann auf der Demonstration. Der, der alleine einen der Trucks aufhielt. “ Agata blickt in ihre
Kamera. Bald geht es wieder zurück in ihre Heimat Polen. Sie drückt Yasmine Hand. Beide grinsen
sich an und müssen laut lachen: „Ja, an unserem Motto wird sich jetzt mal nichts ändern. Wir sagen
nur: Jébac PiS“.

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